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Millionen Jahre alt, ökologisch bedeutend und in der Medizin gefragt: Pfeilschwanzkrebse (Foto: © Darin Rotjana)
Angesichts ihres markanten Äußeren sind die Pfeilschwanz- oder Hufeisenkrebse ("horseshoe crabs") mit ihrer Rückenplatte und dem beweglichen Schwanzstachel, die man mit etwas Glück im Sommer an floridianischen Stränden beobachten kann, leicht von anderen im Wasser lebenden Gliederfüßern zu unterscheiden. Ihr Name ist allerdings irreführend, denn de facto handelt es sich bei den urtümlichen Tieren gar nicht um Krebse, sondern um die einzigen noch heute lebenden Vertreter der Schwertschwänze, einer mit den Spinnentieren verwandten Arthropodengruppe. Insgesamt sind vier rezente Arten bekannt, von denen nur Limulus polyphemus an nordamerikanischen Küsten vorkommt. Da sich diese Tiergruppe offenbar seit 245 Millionen Jahren kaum verändert hat, werden ihre heutigen Vertreter auch als lebende Fossilien bezeichnet.
Pfeilschwanzkrebse, die sich in Florida das ganze Jahr über paaren und reproduzieren, können bis zu 20 Jahre alt werden und ernähren sich von kleineren Fischen, Algen und Krebsen. Sie selbst stellen ihrerseits eine wichtige Nahrungsquelle für verschiedene andere Tiere dar: Seevögel wie die Aztekenmöwe und der Knutt, die während ihrer langen Reisen von den Winterquartieren zu den Brutplätzen an den Stränden Nordamerikas Rast machen, decken einen wesentlichen Teil ihres Proteinbedarfs für ihre anstrengenden Flüge durch den Verzehr von Pfeilschwanzkrebseiern. Auch Fische schätzen die Eier, während ausgewachsene Hufeisenkrebse auf dem Speiseplan von Meeresschildkröten, Alligatoren, Haien, Waschbären oder auch der Florida-Pferdeschnecke stehen.
Für die Menschen dagegen ist das Blut der Schwertschwänze von besonderem Interesse. Ihre als Amöbozyten bezeichneten blauen Blutzellen besitzen die Eigenschaft, beim Kontakt mit bakteriellen Giftstoffen zu einem Gel zu gerinnen. Mediziner nutzen eine Lösung aus zerfallenen Pfeilschwanzkrebs-Blutzellen daher bei der Herstellung von Impfstoffen aus sterilisierten Bakterienzellen zum Nachweis von darin vorhandenen Endotoxinen, die bei den Geimpften zu Infektionen führen könnten. Jährlich werden dafür laut News-Press vor allem in der Delaware Bay, die sich über die Bundesstaaten Delaware und New Jersey erstreckt, insgesamt ungefähr 500.000 der Tiere zur Blutabnahme eingefangen und anschließend wieder freigelassen. Darüber, wie viele der Tiere die stressige Prozedur überleben, bei der sie immerhin fast 30 Prozent ihres Bluts verlieren, gibt es allerdings keine genauen Erkenntnisse. Schätzungen gehen von einer Sterberate zwischen 10 und 30 Prozent aus. Während es Quoten für den Fang von Pfeilschwanzkrebsen gibt, die als Fischköder verwendet werden, unterliegt die Schwertschwanz-Ernte zu medizinischen Zwecken keiner Regulierung. Zwar gelten die Tiere bisher nicht als bedroht, Wissenschaftler gehen aber davon aus, dass ihre Zahl in den vergangenen Jahren durch den Fang sowie den Verlust ihres Habitats infolge von Umweltzerstörung abgenommen hat. Nachdem jüngst ein alternativer Endotoxin-Test entwickelt wurde, könnte der Pfeilschwanzkrebs-Aderlass aber zumindest mittelfristig der Vergangenheit angehören.
In Florida, wo die etwa fünf oder sechs Limuluspopulationen im Vergleich zu jenen in der Delaware Bay relativ klein sind, werden zwar keine Tiere zur medizinischen Zwecken eingefangen, angesichts des Mangels an Daten führt die Florida Fish & Wildlife Conservation Commission (FWC) aber gleichwohl Untersuchungen dazu durch, wie viele Pfeilschwanzkrebse jährlich zur Paarung und Eiablage an die Strände kommen. Im Rahmen des 2015 ins Leben gerufenen "Florida Horseshoe Crab Watch" zählen ehrenamtliche Mitarbeiter bisher an 31 floridianischen Stränden in ausgewählten Arealen die dort vorhandenen Pfeilschwanzkrebse, wiegen und vermessen sie, bestimmen ihr Geschlecht, schätzen ihr Alter und markieren sie. Nach Aussage des Meeresbiologen Armando Ubeda, eines Mitarbeiters des Florida-Sea-Grant-Programms der University of Florida, ist bisher noch sehr wenig über das Leben der Tiere bekannt. Offen ist etwa auch die Frage, ob die gefürchteten giftigen Algenblüten eine Gefahr für die Schwertschwänze darstellen.
Die FWC bittet auch Urlauber darum, ihr Sichtungen von Pfeilschwanzkrebsen zu melden, um auf diese Weise Gegenden zu identifizieren, bei denen es sich lohnt, sie künftig in das Untersuchungsprogramm aufzunehmen. Wer bei einem Strandspaziergang auf einen Schwertschwanz trifft, kann dies zum Beispiel online auf der Website myfwc.com/contact oder über die App "FWC Reporter" der Behörde mitteilen. Die besten Chancen dafür bestehen während der Flut bei Vollmond oder Neumond. Um junge Pfeilschwanzkrebse zu beobachten, rät Mark Thompson von der Sanibel-Captiva Conservation Fondation, bei Ebbe bei den Mautstellen auf Sanibel Island nach Spuren der Tiere Ausschau zu halten. Ausgewachsene Exemplare sollen im Küstengewässer entlang des Wildlife Drive im J.N. "Ding" Darling National Wildlife Refuge zu finden sein. Laut Eve Haverfield von der NGO Turtle Time, die sich insbesondere für den Erhalt Unechter Karettschildkröten einsetzt, wurden auch auf Big Hickory Island und an den Stränden von Bonita Springs in jüngster Zeit Pfeilschwanzkrebse gesichtet. Wer einen auf dem Rücken liegenden Limulus findet, soll ihn vorsichtig aufheben und zurück ins Meer setzen.