Die Florida International University in Miami (Foto © srhtk/Shutterstock.com)
Beim Versuch, die COVID-19-Verbreitung detailliert zu erfassen, stößt man auf eine Reihe von Wissenslücken, die insbesondere mit einer unzureichenden Datenlage zusammenhängen. Wie der "Sun Sentinel" schreibt, wurden in Florida bis zum 26. April rund 300.000 Personen auf Corona getestet durchgeführt, was 1,3 Prozent seiner Einwohnerschaft entspricht. Damit liegt der Sunshine State als drittbevölkerungsreichster Bundesstaat US-weit im Mittelfeld. Die offizielle Infiziertenzahl lag am vergangenen Freitag bei 30.500, was rund 0,14 Prozent der Bevölkerung entspricht. Damit steht Florida deutlich besser da als die am stärksten von der Corona-Pandemie betroffenen US-Staaten: Im nationalen Durchschnitt liegt die Infiziertenzahl bei rund 0,27 Prozent, in New York sogar bei 1,35 Prozent. Allerdings muss aufgrund der Tatsache, dass die Zahl der Tests begrenzt ist und nicht jeder auf einen bloßen Verdacht hin getestet werden kann, von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden.
Epidemiologen sind sich darin einig, dass die von Florida ergriffenen strengen Social-Distancing-Maßnahmen dazu geführt haben, dass der Prozentsatz der positiv getesteten Personen pro Tag stark zurückgegangen ist: Lag sein höchster Wert Mitte März bei 23 Prozent, bewegt er sich seit dem 22. März zwischen 10 und 12 Prozent, im am stärksten betroffenen Südflorida liegt er bei etwa 15 Prozent. Der Rückgang des Prozentsatzes hängt allerdings auch damit zusammen, dass man anfangs nur Personen mit Krankheitssymptomen testete, während die Tests mittlerweile auch auf Verdachtsfälle ohne Symptome ausgeweitet wurden. Parallel dazu ging der Prozentsatz neuer Todesfälle deutlich zurück: Die zeitweilig exponentiell verlaufende Kurve flachte seit Ende der ersten Aprilwoche ab. Dementsprechend liegt auch die Auslastung der floridianischen Intensivstationen und Beatmungsgeräte unterhalb der Kapazitätsgrenzen. Experten warnen aber davor, angesichts dieser erfreulichen Entwicklung die Kontaktbeschränkungen zu schnell zu lockern. Da noch keine Herdenimmunität erreicht sei, würde andernfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit eine zweite Infektionswelle über das Land rollen und das bisher Erreichte zunichtemachen.
Als bestes Mittel, die Pandemiekurve flach zu halten, ohne die Lockdown-Maßnahmen auf ein für die Gesellschaft nicht erträgliches Maß zu steigern, gilt der Mehrzahl der Epidemiologen, die Testkapazitäten so stark zu erhöhen, dass es möglich ist, Infizierte durch Tracing zu identifizieren und zu isolieren. Derzeit liegt die Zahl der täglich vorgenommenen Tests bei rund 9.000; um das gesellschaftliche Leben wieder hochfahren zu können, ohne ein erneutes starkes Ansteigen der Infiziertenzahl zu riskieren, muss sie nach Ansicht der Experten deutlich steigen – auch um Herauszufinden, wie groß der Prozentsatz der Bevölkerung ist, der bereits mit dem Virus infiziert wurde. Um ein Bild von der Ausbreitung des Virus zu erhalten, sollte man laut den Experten auch auf die Hospitalisierungszahlen achten: Wenn weniger Menschen mit Corona-Symptomen in die Krankenhäuser eingeliefert werden, ist dies ein Zeichen dafür, dass das Virus sich in der Gesellschaft langsamer verbreitet.
Die Todesrate unter den offiziell Corona-Infizierten liegt in Florida derzeit bei 3,3 Prozent. Allerdings ist unklar, ob tatsächlich alle Corona-Toten gezählt wurden. Einerseits wurden von einigen Countys höhere Totenzahlen gemeldet als vom Florida Department of Health. Andererseits gab es in jüngerer Zeit auffallend viele an Grippe und Lungenentzündung verstorbene Patienten, bei denen es sich nach Ansicht mancher Experten in Wahrheit um Corona-Opfer gehandelt haben könnte. Da die Tests anfangs keine Personen erfassten, die infiziert wurden, ohne Symptome zu zeigen, dürfte die Todesrate bei einer weiteren Ausweitung der Tests markant zurückgehen.
Der Instagram-Gründer Kevin Systrom hat ein Modell zur Abschätzung der Reproduktionsrate (R) des Virus in den einzelnen Bundesstaaten entwickelt – das Maß dafür, wie viele andere Menschen ein Infizierter im Durchschnitt ansteckt. Die laufend aktualisierten Zahlen und Kurven werden online unter "rt.live" veröffentlicht. Da der dem Modell zugrundeliegende Algorithmus empfindlich auf eine Änderung der Zahl der Corona-Tests reagiert und bei der Auswertung der Daten von der Annahme ausgegangen wird, dass nur Personen, die Symptome zeigen, auch infektiös sind, sind die Zahlen mit einer gewissen Vorsicht zu betrachten. Nach Aussage der Epidemiologjn Dr. Aileen Marty, Professorin für Infektionskrankheiten an der Florida International University, ist das Modell aber "so gut, wie es derzeit aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Daten geht".