Als der junge Architekt Paul Marvin Rudolph 1947 in das Büro von Ralph Twitchell nach Sarasota kommt, stellt das für ihn nach Studium und Kriegsdienst endlich den ersehnten Schritt in die Praxis dar. Als Absolvent der Graduate School of Design an der Harvard University hat er bei Berühmtheiten wie Walter Gropius und Marcel Breuer studiert, sein Geschmack und Stilempfinden sind eindeutig »modern«. Hier nun, an der Westküste Floridas, sei für ihn, wie er ein paar Jahre später feststellt, »die Zeit des Handelns« gekommen. Die Zusammenarbeit mit dem fast 30 Jahre älteren Twitchell, die bereits 1941 ein erstes gemeinsames Projekt (»Twitchell Residence«) hervorgebracht hatte, verläuft von Anfang an erfolgreich. Twitchell macht Rudolph noch im gleichen Jahr zum Teilhaber,1949 sogar zum Partner.
Das Architekten-Duo profitiert vom Aufschwung der Nachkriegszeit, als sich Sarasota zum gefragten Wohn- und Ferienort einer wohlhabenden Klientel entwickelt, und sich nach und nach bekannte Künstler und Kreative in der Gegend niederlassen, so etwa der Fotograf der Zeitschrift »LIFE«, Joseph Steinmetz, für den das Architektenduo 1947/48 ein Studio baut. Vor allem aber die Nachfrage nach Gäste-, Ferien- und Zweithäusern in der landschaftlich und klimatisch reizvollen Gegend liefert die Aufträge, mit denen Twitchell und Rudolph ihr Renommee als Gestalter einfallsreicher und moderner Wohnhäuser begründen können.
Dieser Ruf findet zunehmend auch Resonanz in den Architekturzeitschriften, und so wird etwa das als Modellhaus konzipierte »Revere Quality House« in Siesta Key (1948) in den folgenden Jahren häufig in verschiedenen Magazinen veröffentlicht. Einen guten Anteil der ersten Projekte des Büros steuerten Auftraggeber aus dem Umfeld Twitchells bei. Das bekannte Sommerhaus »Healy« in Siesta Key (1948–50) etwa, besser bekannt unter dem Namen »Cocoon House«, wird von den Eltern von Twitchells zweiter Ehefrau in Auftrag gegeben. 1951 endet die Zusammenarbeit der Partner – für Rudolph selbst war die Trennung hauptsächlich dem Altersunterschied zuzuschreiben, doch er gibt auch zu, dass professionelle Eitelkeiten eine Rolle gespielt hätten. Aber auch in der eigenen Praxis erhält Rudolph seinen Ruf als Entwerfer einfallsreicher und kostengünstiger Ferien- und Wohnhäuser aufrecht, und er wird – nicht zuletzt aufgrund seiner zunehmenden Medienpräsenz – bald zu einem Star der jüngeren Architektengeneration in den USA. Die Idee einer regional angepassten Moderne führt er nun fort und erweitert sie um zusätzliche bautechnische Innovationen, so etwa bei der tonnenförmigen Dachkonstruktion aus Sperrholz im Haus »Hook« (1951/52) oder im »Sanderling Beach Club« (1952/53), beide in Siesta Key. Aus Rudolphs eigener Sicht sind sämtliche seiner »Florida Houses« von der Anwendung der formalen und strukturellen Prinzipien des »International Style« geprägt, wie er sie von Gropius gelernt hatte und die sich für ihn durch strikte Funktionalität, Klarheit der Konstruktion sowie Artikulation der Einzelteile definieren.
Mit dem »Cohen House« – sicherlich einer der Höhepunkte seiner Schaffenszeit in Florida – erringt er 1954 den renommierten Preis der Zeitschrift »Progressive Architecture«. Das nach Rudolphs eigenem Urteil erfolgreichste seiner Florida-Häuser ist indes das Sommerhaus »Walker« auf Sanibel Island (1952–53), das einerseits ein rationales, in seiner Strenge fast an Ludwig Mies van der Rohe erinnerndes konstruktives Vokabular verwendet und es andererseits um neuartige mobile Elemente erweitert. So verfügt das kleine Haus über klappbare Wandelemente, die zum Schutz vor Hurrikanen geschlossen werden können, im geöffneten Zustand aber als Sonnenschutz dienen und einen überdachten Umgang bilden. Zum unbestreitbaren praktischen Nutzen dieser Innovation gesellt sich damit ein emotionaler, da der Innenraum durch einfaches Öffnen oder Schließen der Klappläden völlig verschiedene Stimmungen annehmen und aus Rudolphs Sicht nun entweder »behaglich und bergend« wirken oder aber seinen Nutzern das Gefühl geben kann, »mitten in der Landschaft« zu sitzen. Der Ruf zum Dekan der Architekturfakultät der Yale University beendet 1958 Rudolphs Arbeit in Florida – doch da ist die Saat längst gesät. Andere Architekten aus Rudolphs Umkreis haben sich daran gemacht, seine Ideen und Gedanken auf ihre Weise umzusetzen.
Tim Seibert, Gene Leedy, William Rupp oder Bert Brosmith bauen Häuser von kühlem, modernem Design und einfachen und klaren Strukturen. Neben dem Zusammenspiel von viel Glas, Licht und Raum bringt diese junge Architektengeneration in Florida auch das Wasser zunehmend als wichtiges Gestaltungselement in ihre Arbeiten ein – eine Bauweise, die vor allem dem Lifestyle auf den vorgelagerten Inseln Siesta, Casey oder Lido Key entgegenkommt. Gene Leedy prägt im Jahr 1982 erstmals den Begriff der »Sarasota School of Architecture«. Paul M. Rudolph und seine Jünger haben da in Florida längst einen Klassiker geschaffen, der derzeit wieder von einer neuen Generation von Architekturliebhabern und Hauskäufern entdeckt wird.
Moderne am Strand
Fünf der markantesten von Paul M. Rudolph in Sarasota verwirklichten Projekte liegen in unmittelbarer Nähe des Golfs von Mexiko.
Umbrella House/1953
Lido Shores, 1300 Westway Drive
Cocoon House/1951
Siesta Key, 3575 Bayou Louise Lane
Cohen House/1955
Siesta Key, 101 Garden Lane
Burkhardt House/1957
Casey Key, 1240 N. Casey Key Road
Taylor House/1955
Venice, 324 Tarpon Street
Quelle: www.modernsarasota.com
Totaler Raum
Martie Lieberman ist Immobilienmaklerin und Gründerin der »Sarasota Architectural Foundation«, die sich um das Erbe der »Mid-Century Modern Architecture« in Sarasota bemüht. Im Jahr 2001 organisierte sie das fünftägige »Sarasota School of Architecture Symposium«, das maßgeblich das Interesse an dieser Architekturepoche wiedererweckte. Auf ihrer Website www.modernsarasota.com können sich Interessierte auf eine virtuelle Tour zu den markantesten Gebäuden der »Sarasota School of Architecture« begeben.
Florida Sun: Mrs. Lieberman, wieso avancierte ausgerechnet Sarasota zu einem Zentrum moderner Architektur in Amerika?
Martie Lieberman: Nun, die Stadt war ja schon immer eine Metropole der Kunst, der Malerei, des Theaters, der Musik. Das hat eine lange Tradition. Und kunstsinnige Menschen leben halt gern in außergewöhnlichen Häusern, in denen sie ihre kreativen Interessen widergespiegelt sehen und die sie auf gewisse Weise ständig neu inspirieren.
Ein Glücksfall, dass Paul Rudolph 1947 sich mit dem Elan des
Genies hier an die Arbeit machte?
Ja, ganz sicher – wobei man sagen muss, dass natürlich schon Ralph Twitchell seit den dreißiger Jahren eine von Bauhaus und Frank Lloyd Wright beeinflusste Ästhetik nach Sarasota gebracht hatte. Rudolphs Gebäude setzte dann aber tatsächlich in den folgenden Jahren und Jahrzehnten eine Energie frei, die sich in Dutzenden ganz außergewöhnlicher und Epoche machender Häuser und öffentlicher Gebäude manifestierte.
Wie erklären Sie sich das zuletzt wieder erstarkte Interesse an Architekten
wie Tim Seibert, Gene Leedy, Victor Lundy, William Rupp und natürlich Rudolph?
Ganz ehrlich: Ich glaube, dass viele Menschen der mediterran geprägten Architektur überdrüssig sind, die in den vergangenen Jahren in Florida stilbestimmend war. Statt der ewigen Rundbögen und der barocken, ornamentalen Verzierungen mag sich so mancher wieder nach klaren Linien und ausgewogenen Proportionen sehnen. Außerdem darf man natürlich
auch nicht den Reiz unterschätzen, in einem architekturgeschichtlich bedeutsamen Gebäude zu leben.
Sie selbst haben vor einigen Jahren das »Cohen House« von Rudolph
erworben, aufwändig saniert und lange Zeit darin gelebt.
Ja, und dabei erfahren, wie unglaublich anregend ein solches Haus sein kann. Nicht nur, dass diese Gebäude rein handwerklich von fantastischer Qualität sind...
...die »Klassische Moderne« sah Schönheit eben nicht nur in puristischer
Linienführung, sondern auch im Wesen edler Materialien...
...das erklärte Ziel für Rudolph war der »totale Raum«: Drinnen und Draußen sollten ineinander übergehen. Dass sich eine solch offene, einladende Architektur natürlich besonders gut für eine subtropische Umgebung mit ihrer schier überbordenden Vegetation eignet, versteht sich von selbst.