Montagmorgen erschüttert die Müllabfuhr die Gegend mit dem automatischen Anheben und Absetzen der Müllbehälter, die wir vorsorglich schon am Sonntagabend an die Straße gestellt haben. Die Müllabfuhr kommt zweimal, einmal zum Frühstück und einmal zum Mittagessen. Zum Frühstück gibt es Wertstoffabfall, zum Mittagessen Restmüll. Während ich noch das Frühstück in der Küche bereite, klingelt zum ersten Mal am Tag das Telefon. Ein Werbeanruf, natürlich. Sie beginnen alle gleich: "Kann ich mal Dirk sprechen", fragen sie. Dirk ist der Besitzer des Hauses. Und der Anrufer ist beileibe kein Freund von Dirk, hat Dirk nie gesehen, will ihm aber eine neue Versicherung, ein besseres Sicherheitssystem oder eine Geldanlage verkaufen. Ich sage dann immer ganz freundlich: "I tourist, I not speak English." Dann legen sie auf. Diese Werbeanrufe kommen im Schnitt 15mal am Tag, richtig ärgerlich sind die Anrufe, bei denen man mit einem Band spricht. Legt man auf, klingeln sie gleich nochmal. Besonders häufig kommen diese Anrufe natürlich während des nachmittaglichen Nickerchens. Aber es nützt ja nichts, eine Maschine anzubrüllen.
Jetzt beginnt draußen die Kreissäge zu kreischen. Denn an der Ecke wird gebaut und das seit vier Monaten. Unsere Frühstücke auf der Terrasse sind begleitet von Hämmern und Bohren, von schreienden Arbeitern, von Baggern, die beim Rückwärtsfahren piepen, von dicken Lastern, die abgeladen werden. In dieses Konzert mischen sich die Dachdecker von gegenüber, denn dem Nachbarn ist beim letzten Sturm ein Teil des Daches verlustig gegangen. Zweimal in der Woche ist auch noch Ina da, unser guter Geist, der das Haus in Schuss hält. Allerdings ist das ein bisschen lauter als zu Hause, denn es gibt hier eine zentrale Sauganlage. Ina stöpselt einen langen Schlauch einfach in jedem Zimmer in die dazugehörige Steckdose und dann wird der Staub in einen riesigen Behälter, der in der Garage hängt, gesaugt. Allerdings hört man den Höllenlärm des Staubsaugers dadurch in allen Räumen, sogar draußen auf der Straße und 250 Quadratmeter saugen sich nicht in zehn Minuten. Gegen zwölf Uhr wird es plötzlich ruhig. Aha, Mittagspause. Also ab in die Küche, wir freuen uns auf ein Sandwich in Ruhe und Frieden.
Trügerische Stille in Cape Coral (Foto: © Nika Lubitsch)
Kaum sitzt man auf der Terrasse, biegt ein Mensch mit Gasmaske und Tropenhelm um die Ecke. Das ist der Gärtner und er sitzt auf etwas, das aussieht wie ein Aufsitzrasenmäher, sich aber anhört wie ein Panzer. Kaum ist er um die Ecke verschwunden kommt ein weiterer Gärtner mit dem Randschneider, der der Kreissäge auf der Baustelle an der Ecke in nichts nachsteht. Ihm auf dem Fuße folgt ein weiterer Mann mit Legionörskäppi, der mit einem Laubbläser das geschnittene Gras lautstark in den Kanal befördert. Nun könnte man denken, dass dies eine relativ seltene Erscheinung ist, denn hier wächst nicht schnell wachsendes Gras. Weit gefehlt. Der Landscape-Service kommt einmal in der Woche und der Rasen scheint in exakt 10 cm Höhe belassen zu werden, man sieht nach dem Landscape nicht einen Millimeter Höhenunterschied. Aber wir sind ja nicht allein in der Straße, ein Grundstück rund um unseren Kanal wird immer von den Gärtnern heimgesucht, so dass täglich um 12.30 Uhr Alarm im Kanal ist. Das sind unsere Mittagsgeräusche. Manchmal kocht allerdings auch der Kanal. Dann ist wirklich Alarm im Skagerat, wir wussten zuerst gar nicht, was das Wasser plötzlich so laut und sichtbar brodeln lässt. Nachbarin Peggy hat uns aufgeklärt. Mitunter fällt ein Schwarm großer Fische, sie nannte sie "Jacks" über die kleineren Mullets her und das scheint ein wirkliches Gemetzel zu sein.
Trotzdem: Zeit für ein kleines Nickerchen. Kaum liegt man, öffnet sich die Pooltür und zwei schwarz gekleidete Menschen mit langen Stangen betreten den Poolcage. Das ist der Poolservice und deren wichtigstes Hilfsmittel ist Chlor. Da die Baustelle inzwischen wieder arbeitet, müssen sich die beiden anschreien, um sich zu verständigen. Mittagsschläfchen ade. Natürlich kommt der Poolservice nur einmal in der Woche zu uns, aber alle Nachbarn haben ebenfalls einen Pool, so dass auch jeder von jedem Geräusch profitieren kann. Kaum sind die Poolleute weg, klingelt wieder das Telefon.
Aber dann, endlich Feierabend. Man hört schon von weitem, wenn der Nachbar von gegenüber nach Hause kommt. Der hat einen Pickup und einen Auspuff, den man nur als Prothese bezeichnen kann. Das Ding röhrt wie ein verwundeter Hirsch. Seine zwei Hunde hören ihn ebenfalls von weitem und fangen an, sich wie wild auf Herrchen zu freuen. Langsam senkt sich der Abend über den Kanal, die Bauarbeiten sind abgeschlossen, die Nachbarn kommen nach Hause. Man weiß genau, wer wann kommt, denn amerikanische Autos hupen, wenn man sie abschließt. Tolle Erfindung, vor allem, wenn man spät in der Nacht von einem Trip zurückkommt, die halbe Nachbarschaft fällt aus dem Bett.
Jetzt ist es Zeit, die Hunde rauszulassen. Amerikaner führen Hunde nur sehr selten spazieren, die Mehrheit lässt die armen Viecher in den Garten kacken. Meine Nachbarin Peggy hat mir erzählt, dass es ein extra Futter für im Haus gehaltene Hunde gibt, da wird der Stuhl so hart, dass man ihn ganz einfach einsammeln kann. Ob die Hunde nun wegen akuter Darmverschlingung kläffen wie blöd oder ob sie sich einfach freuen, mal zehn Meter im Quadrat laufen zu können, erschließt sich dem Betrachter nicht wirklich.
Man sitzt auf der Terrasse, trinkt gemütlich seinen Sundowner und beobachtet die riesigen Vogelschwärme, die sich abends offensichtlich in ihren Stammkneipen treffen. Ab und zu setzt ein Fisch zu einem doppelten Rittberger an, es gibt welche, die können ganz schön weit springen und landen dann mit einem lauten Platsch auf dem Bauch, mitunter auch auf dem Bootssteg. Aua.
Während die Sonne untergeht, wird die langsam einsetzende Stille zerrrisen von den Fliegern, die jetzt im Minutentakt Southwest International anfliegen. Auch die kleinen Flugzeuge der Hobbyflieger starten jetzt von Page Field aus zu einer Abendrunde. Und die Polizei kontrolliert mit einem Hubschrauber, ob auch alles okay und sicher ist auf den Straßen von Cape Coral.
Jetzt ist es Zeit, sich bitter zu rächen. Wir werfen die zentrale Beschallungsanlage an, die mit Sicherheit nicht nur auf unserer Terrasse zu hören ist sondern bis hoch zum Salzwasserkanal. Das ist auch dringend nötig, denn der Kollege mit dem weggeflogenen Dach von gegenüber hat soeben seine Gitarre herausgeholt, auf der er seine fünf Griffe übt, die ihn zu seinem durchaus passablen Gesang begleiten. Wir heizen den Grill vor und während ich in der Küche den Salat zubereite, fährt draußen laut dröhnend ein Motorboot vorbei. Aha, der Nachbar an der linken Ecke kriegt Besuch.
Wir quatschen bis zum Abwinken, nur unterbrochen von gelegentlichem schrillen Piepen. Die Spülmaschine piept dreimal, wenn sie fertig ist, die Socken in der Waschmaschine piepen dreimal und das Piepen des Trockners sagt uns, dass die T-Shirts trocken sind. Zwischendurch hat man das Gefühl, dass sich in der Küche ein Rohrbruch ereignet hat. Das ist die Eismwürfelmaschine im Kühlschrank, die regelmäßig frisches Wasser nachlegt. Und dann wird es unheimlich. Es hört sich an, als ob ein in der Dunkelheit unsichtbarer Nachbar seinen glühenden Holzkohlengrill in den Kanal geworfen hat. Ein lautes Zischen und dann ein gewaltiger Knall. Damit verabschieden sich keine verbrannten Steaks sondern abgestorbene Palmenwedel und man ist dankbar, dass man nicht darunter steht. Wir freuen uns auf das Wochenende. Endlich Ruhe.
Weit gefehlt. Denn in so einem Einfamilienhaus mit Boot ist immer etwas zu reparieren. Peggy muss den Weg ausbessern lassen und hat zwei mexikanische Steinbeisser engagiert, die uns am Sonntag mit Kreissägenlärm und Betonstaub versorgen. Der Nachbar gegenüber hat Verwandschaft mit acht Kindern zu Besuch, die laut quiekend im Pool baden. Die Erwachsenen turnen mit dem Powerboat durch den Kanal, und der alte Kahn vom Nachbar schräg gegenüber muss mal wieder durchgeblasen werden, was den Vorteil hat, dass man die Katastrophe mindestens eine Stunde nicht sieht, denn blaue Rauchschwaden wabern über den Kanal.
Letzten Sonntag sind wir an den Lake Okeechobee geflohen, es war einfach unterträglich laut. Wir wohnen in Berlin an einer großen Straße, aber dort ist es nie so laut wie in dem ruhigen, beschaulichen Cape Coral.