Florida ist sehr behindertenfreundlich. Auch viele Strände sind mit dem Rollstuhl zu erreichen. (Foto: ©Robert Magorien)
Die ältere Dame sagte mit einem Lächeln »Biep, Biep«. Ich schritt zur Seite. Ihr knallroter elektrischer Rollstuhl – versehen mit Mercedes-Stern und diversen Fähnchen und Aufklebern – rollte an mir vorbei. Der Ort: mitten in einem Supermarkt in Florida. Durchaus kein seltener Anblick. Wer sich in den USA auskennt, der weiß, dass es Behinderten relativ leicht gemacht wird, am öffentlichen Leben teilzunehmen, ohne ständig auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein.
Ob beim Einkaufen, Busfahren, in öffentlichen Parks, Schulen, Unis, Hotels, Restaurants, Tankstellen, Autowerkstätten, Turnhallen und Stadien – überall gibt es besondere (und besonders große) Parkplätze für Autos, die Rollstuhlfahrer transportieren oder deren Fahrer selbst im Falle von weniger schwerwiegenden Gehbehinderungen eine Sondergenehmigung vom Arzt bekommen haben. Darüber hinaus sind die Gänge (und auch die WC) an öffentlichen Orten meist ausreichend groß, so dass man mit einem Rollstuhl bequem manövrieren kann. Türen öffnen sich entweder automatisch oder haben große Knöpfe, mit denen man vom Rollstuhl aus bequem einen Öffnungsmechanismus betätigen kann.
Nun könnte man annehmen, amerikanische Geschäftsleute seien Behinderten gegenüber einfach so positiv eingestellt, dass sie ihre Architekten aus reiner Nächstenliebe zum Einbauen besonderer Vorrichtungen anhalten. Das stimmt natürlich nicht ganz. Erstens gibt es den »Americans with Disabilities Act« – ein bundesweites Gesetz, welches den Ausschluss Behinderter von alltäglichen Aktivitäten verhindern soll. Die Teilnahme am öffentlichen Leben ist das Recht jedes Einzelnen. Daher sorgt dieses Gesetz dafür, dass öffentliche Stellen und Geschäfte ihre Dienstleistungen allen Menschen gleichsam zugänglich machen. Wer Treppen hat, muss auch Aufzüge oder Rampen zur Verfügung stellen. Und wer sich nicht daran hält, bekommt keine Lizenz und darf sein Geschäft nicht betreiben. Ausgenommen (beziehungsweise nicht ganz so streng behandelt) werden Betriebe, deren Gebäude vor 1993 fertiggestellt worden sind. Der zweite Grund ist rein wirtschaftlicher Natur:
Obwohl Geschäftsleute bei Erlass dieses Antidiskriminierungsgesetzes anfangs schimpften, sahen sie bald die Vorteile.Behinderte bilden inzwischen eine solvente (und damit begehrte) Kundengruppe. Florida war in diesem Fall der Nation einen Schritt voraus: Durch den hohen Anteil von Ruheständlern hatten viele Geschäftsleute »bequemes Einkaufen« bereits als wichtigen Wettbewerbsfaktor ausgemacht und dementsprechende Vorkehrungen getroffen. Auch auf bundesweiter Ebene erkannten Hotel- und Restaurantbetreiber bald den Sinn des Gesetzes: Naturgemäß unternehmen Familien gern etwas zusammen – sie fahren gemeinsam in den Urlaub, gehen essen und einkaufen oder besuchen Parks und öffentliche Einrichtungen. Mit behinderten Familienmitgliedern ist Entspannung oft schwierig.
Wer eckt schon gern dauernd an, weil nicht genug Platz für den Rollstuhl ist? Der Betrieb, das Hotel oder das Restaurant, die sich frühzeitig auf die Bedürfnisse von Familien mit behinderten Mitgliedern eingestellt haben, verzeichneten einen echten Wettbewerbsvorteil.Was auch immer die Gründe sein mögen: Menschen mit Gehbehinderungen genießen in dem relativ neu bebauten Bundesstaat Florida die Möglichkeit, ohne Einschränkungen am öffentlichen Leben teilzunehmen. Und dank des Gesetzes ist Gleichbehandlung ein Recht. Man ist also nicht ausschließlich auf die Gastfreundlichkeit angewiesen – wenn das kein Grund ist, sich entspannt zurückzulehnen.
Dieser Artikel stellt keine Rechtsberatung dar, sondern dient ausschließlich der allgemeinen Information.
Über die Autorin:
Norma Henning ist Rechtsanwältin, Notarin und Inhaberin von Henning Law in Naples. Telefon (239) 596-6020
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