Mitglieder der Koreshan-Religionsgemeinschaft im Jahre 1904 am Rande der Estero Bay (Foto: © State Archives of Florida)
Anfang Januar 1897 treffen sich am Strand von Fort Myers Beach zwei Männer und blicken fasziniert auf den Golf von Mexiko. Selbst im Winter ist es hier sommerlich warm, das ruhige Meer, die Palmen und der weiße Sand machen die Insel zu einem idealen Urlaubsort. Doch die beiden Männer haben anderes als Erholung im Sinn. Sie wollen beweisen, dass wir Menschen auf der Innenseite einer Hohlkugel leben. Und so ist das Duo fest davon überzeugt, dass sich vor ihnen nicht der Himmel erhebt, sondern das Meer.
Der Ältere der beiden ist der aus Trout Creek bei New York stammende Arzt Cyrus Reed Teed. Schon während seiner Ausbildung werden alternative Heilmethoden zu seinem Spezialgebiet: Homöopathie, Kräutermedizin der Indianer, Magnetfeldtherapie – nichts ist dem Doktor fremd. Seine andere Passion ist die Bibel, an deren Wahrheitsgehalt er fest glaubt. Weniger überzeugt ist er dagegen von dem Weltbild der modernen Naturwissenschaft. Bei einem seiner Experimente streckt ihn 1869 ein Stromschlag zu Boden. Während der Bewusstlosigkeit hat er eine himmlische Erscheinung. Und als er aus seiner Ohnmacht erwacht, kennt er nur noch ein Ziel: seine Vision von der Welt allen zu verkünden. Aus dem verschrobenen, bibelfesten Arzt wird über Nacht ein Religionsgründer.
Er nimmt die hebräische Version seines Vornamens – Koresh – an und tauft die neue Glaubensgemeinschaft Koreshan Unity. In New York sammelt er 1870 die ersten Anhänger um sich, später folgen Chicago und San Francisco. Im Jahre 1894 gründet Teed in Estero in Florida mit 250 Anhängern eine religiöse, sozialistisch organisierte Gemeinschaft mit Namen »Neu-Jerusalem«, die später auf bis zu 4.000 Mitglieder anwächst. Zehn Millionen sollen es in Teeds Träumen einmal werden, den Grundriss mit 120 Meter breiten Straßen hat er schon entworfen.
Bis 1908 erwerben die Koreshans rund 23 Quadratkilometer Land. Die Kommune betreibt eine Vielzahl eigener Handwerksbetriebe, darunter Werkzeugmacherei, Blechschmiede, Matratzenherstellung, Hutmacherei, Korbmacherei, Schuhmacherei, Druckerei und Wäscherei. Dazu kommen ein Restaurant, eine Sägemühle und eine kleine Werft. Doch nach dem Tod von Cyrus Teed am 22. Dezember 1908, dem Tag der Wintersonnenwende, zerfällt die Gemeinschaft langsam. Die letzten überlebenden Anhänger übertragen 1961 den Grundbesitz der Kommune dem US-Bundesstaat Florida. Heute können Besucher auf der Koreshan State Historic Site den Spuren von Cyrus Teed folgen. Und darüber nachdenken, wie es wohl wäre, im Innern einer Kugel zu leben …