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Wandmalerei der peruanischen Künstlergruppe DMJ Crew. (Foto: © Maria Kraynova)
Raubeinige Gesellen, die sich wegen ein paar Gramm Gold an die Gurgel gehen. Schweißtriefende Kerle, ihr Blick starr vor Gier, die auf den nächsten erlösenden Fund harren. Das war früher. Heutzutage heißen Claims »Grundstücke«. Und die schmutzigen Schürfer von einst sind smarten Investoren, Maklern und Immobilienhändlern gewichen, die ohne einen Hauch von Dreck unter den Nägeln das große Geschäft machen.
Zuletzt im Visier der modernen Goldgräber: Miamis neuer Trendstadtteil Wynwood. Ursprünglich die Heimat von Unternehmen wie Coca-Cola, American Bakeries Company und der Bekleidungsindustrie, wies Wynwood schon immer einen eher industriellen Charakter auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg zogen viele der hiesigen Bewohner in neue, weniger von Fabriken verunstaltete Stadtteile. Durch den Zuzug von Einwanderern aus Puerto Rico entstand »Little San Juan«, später folgten Kubaner, Haitianer, Kolumbianer und andere. In den 1970er-Jahren lag die Arbeitslosigkeit hier bei über 50 Prozent, Drogendelikte nahmen überhand, Wynwood war »Loserwood«. Ein Stadtteil, aus dem man einfach nur weg wollte.
Die Initialzündung für die Renaissance von Wynwood war der Einzug eines Künstlerkollektivs um Helene Pancoast in die leer stehenden Firmengebäude der Flowers Baking Company (vormals American Bakeries) Ende der 1980er-Jahre. Das erklärte Ziel war die Schaffung von günstigem Wohnraum und Ateliers für klamme Kreative. Pioniere wie Mark Coetzee, Nina Arias und Nick Cindric siedelten sich an und ließen den Wynwood Art District langsam en vogue werden. Den wohl wichtigsten Impuls aber lieferte Tony Goldman durch den gezielten Kauf ehemaliger Lagerhallen zwecks Umfunktionierung in Freiräume für kreative Köpfe: Die »Wynwood Walls« waren geboren. Goldmans Vision eines hippen, lebendigen und hochattraktiven Künstlerbezirks wurde Realität und verlieh Wynwood ein neues Gesicht mit schicken Clubs, Galerien, Restaurants und Shops. Das einstige »Loserwood« avancierte zu einem der angesagtesten Viertel Miamis, jeder Block wurde zum visuellen Abenteuer.
Die Magie Wynwoods ist sichtbar an jeder Straßenecke. Vorangetrieben durch eine Vielzahl von Initiativen wie »Primary Flight«, die als erste ab 2007 einen kompletten Stadtteil durch Street-Art neu gestalten ließ, fanden populäre Graffiti-Künstler wie Os Gêmeos, Kenny Scharf, Ryan McGinness, Jay Shogo, Futura, Shepard Fairey und Jona Cerwinske ihren Weg nach Wynwood. Sie verwandelten das einstige »Schmuddelkind« innerhalb weniger Jahre in einen international gefeierten Szeneschmelztiegel. Farbenfroh, unkonventionell, aufregend präsentiert sich die Graffiti-Kunst, die zu ausgedehnten Streifzügen durch das Viertel einlädt. Gemütliche Cafés und Bars erlauben dabei Erholungspausen vom Dauerstaunen. Und Clubs wie das Bardot, das Indie-Electro-Paradies The Electric Pickle und viele andere interessante Orte sorgen dafür, dass auch das Nachtleben alles andere als langweilig ist.
David Lombardi schuf ab den frühen 2000er-Jahren kompakte Live-Work-Lofts, die jungen Künstlern und Start-ups Arbeits- und Lebensraum boten. Auch der israelische Investor Moishe Mana erkannte die Möglichkeiten für eigene Neugestaltungspläne und ist heute größter Immobilienbesitzer Wynwoods mit 40 Gebäuden und mehr als 12 Hektar Grundfläche. Für einen Immobilien-Verrückten wie mich, der ich das Vergnügen habe, ihn mit meiner
Firma Sterling Equity Realty bei vielen Projekten zu begleiten, gibt es momentan sicherlich keinen aufregenderen Ort als diesen!
Für die alteingesessene Bevölkerung des Stadtteils wird die Luft durch steigende
Mieten indessen zusehends dünner, während sich die Möglichkeiten dank des neuen »Neighborhood Revitalization District«-Plans für moderne Goldgräber immens verbessern. Ziel ist es, den Kontrast zwischen Industrie und Kultur beizubehalten und Bauherren mit vielfältigeren Nutzungsmöglichkeiten anzulocken. Dazu änderte die Stadt Miami zuletzt ihre Bebauungsvorschriften, um zum Beispiel mehr Hotels in Wynwood entstehen zu lassen und so den anschwellenden Besucherstrom aus der ganzen Welt beherbergen zu können.
Anfang 2015 wurde Wynwood von der Maklerfirma Redfin als »heißester Stadtteil« ausgezeichnet. Für mich steht fest: Der ganz große Ansturm der Investoren steht hier erst noch bevor. Die drängende Frage ist nun: Wie lange werden eine brodelnde Kunstszene und eine wachsende Kommerzialisierung eine friedliche Symbiose eingehen können? Das spannendste Viertel Miamis ist erneut im Umbruch. Aber die leidenschaftliche und innovative Künstlerkultur Wynwoods wird Wege finden, den Goldrausch bunt zu begleiten. Denn jeder weiß, ohne sie geht es nicht.
Hinfinden
Wynwood liegt nördlich von Downtown Miami und Overtown. Im Süden begrenzt von der NW 20th St., im Norden von der NW 36th St., östlich von Eisenbahnschienen und westlich von der I-95. Der südliche, kommerziellere Teil beherbergt die meisten Galerien, Restaurants und Hot Spots.
Kunst Gucken
Die berühmten Wynwood Walls sind die erste Adresse für Street-Art: die Wände ehemaliger Lagerhallen, transformiert in die größte Leinwand der Welt.
Clubbing
In der Wohnzimmeratmosphäre des Bardot gibt's Cutting-Edge-Livemusik aus sämtlichen Genres unter Leitung von Creative Director David Sinopoli, der gemeinsam mit dem Bardot-Besitzer Amir Ben-Zion und Erica Freshman auch Mitbegründer des »III Points«-Festivals ist. Ein Muss für Musikliebhaber!
Chillen
Die Wood Tavern ist eine junge, ungezwungene Bar, die sich durch ein offenes, tolerantes Ambiente auszeichnet. Keine Reservierungen, kein Schnickschnack, einfach reinkommen, hinsetzen, Drinks bestellen und wohlfühlen.
Shopping
Die Boutique 1ofK bietet unter anderem auf 1000 Stück limitierte von Raj Chatrani designte Jeanskollektionen. Der Standard in Wynwood heißt: Es gibt keine Standards!
Dining
»Beautiful food, beautifully prepared«, hieß es in der New York Times. Das Gigi ist ein schickes Restaurant, das Gaumenfreuden künstlerisch inszeniert und damit den
Geist von Wynwood kulinarisch lebt.
Im Jahre 2008 von Joey Goldman eröffnet, war das authentisch italienische Café Joey's das erste Restaurant im Wynwood Arts District und gilt auch heute noch dank der exquisiten mediterran inspirierten Küche als Klassiker des Viertels.
Events
Jeden zweiten Samstag im Monat findet der Wynwood Art Walk statt. Ausgehend von der NW 2nd Ave./NW 23rd St. geht hier die Post ab. Ausstellungen, Musik, Gourmet-Foodtrucks – ein einzigartiges Spektakel. Für Neulinge empfehlen sich geführte Touren.
Über den Autor
Robert Ziehm ist Broker und Besitzer von Sterling Equity Realty in Miami Beach, Telefon: (305) 804-4848, Email: robert@sterlingequityrealty.com