Still ist es hier auf der Veranda, ein Wiehern manchmal, das Klackern der Hufe jener Pferde, die gemächlich die Kutschen über das Kopfsteinpflaster der Charlotte Street ziehen. Nur als fernes Brausen sind die Touristenbusse zu hören, die sich von der Avenida Menendez langsam aufmachen, um die Besucher wieder aus der Stadt zu befördern. Es ist später Nachmittag, die Hitze hat sich allmählich gelegt und einer angenehmen Abendkühle Platz gemacht.
Für uns die schönste Stunde des Tages, wenn selbst die Zeit nach der Hektik eine kurze Pause einzulegen scheint, um ein bisschen zu verschnaufen. Eine angenehme Trägheit liegt in der Luft. Zeit für ein Glas kühlen Pinot Grigio, den ich uns gerade aus der Küche geholt habe. Ob wir noch einen kleinen Imbiss wünschen, fragt mich Inn-Keeperin Lynne Fairfield, stets rührend um das Wohl ihrer Gäste bemüht. Nein danke, denn St. Augustine, die älteste Stadt Amerikas, kann schließlich mit einer ganzen Reihe verträumter – und erstklassiger – Restaurants aufwarten. Dahin wollen wir später noch, doch erst mal kriegt uns hier von unseren bequemen Stühlen niemand weg.
Das Bed & Breakfast auf der Charlotte Street mitten im Herzen von St. Augustine bietet ein Ambiente wie aus einem Laura-Ashley-Katalog: plüschige Sofas, wallend drapierte Vorhänge, Antiquitäten in jedem Zimmer. Und ein stets einladend gedeckter Tisch. Wir fühlen uns zurückversetzt in eine Zeit, da man mit der Eisenbahn anreiste und stilvoll »abstieg«, statt nur zu übernachten. Das Haus, in dem sich das Inn heute befindet, wurde 1918 für den angesehenen Rechtsanwalt Levi Nelson erbaut, in einer Ära, da reiche Industrielle aus dem Norden das kleine St. Augustine als ideale Winterresidenz mit warmem Klima für sich entdeckten. Die »Roaring Twenties« brachten tatsächlich Glanz und Glamour in die eher verschlafene, kleine Stadt am Atlantik. Ein bisschen Tanz auf dem Vulkan, aber alles im Rahmen eines durchaus gemütlichen Biedermeiers, angereichert mit einem deutlichen Schuss Südstaaten-Flair.
Und etwas von diesem Zauber ist immer noch zu spüren, wenn man von der gepflasterten Charlotte Street in das Foyer des Inns tritt. Natürlich: Auch hier hat die Neuzeit Einzug gehalten, mit Fernsehen und Klimaanlage. Doch die acht geschmackvoll eingerichteten Gästezimmer – vom verspielten »Amber Rose Room« über das tropische »Royal-Palm«-Zimmer bis hin zur geräumigen »King Suite« – bewahren die Harmonie der »guten alten Zeit«. Und sowieso: Auf die modernen Annehmlichkeiten könnten wir hier ohne Weiteres verzichten. Weil wir lieber auf der Veranda sitzen und die Zeit vertrödeln. Und dem Treiben auf der Straße zuschauen und darüber nachdenken, was man – glücklicherweise – gerade verpasst an TV-Shows, lästigen Diskussionen im Büro oder sonstigen Nichtigkeiten des Alltags.
Irgendwann bekommen wir dann aber doch Hunger und beschließen, uns zum Dinner etwas Besonderes zu gönnen. Wir entscheiden uns für das Restaurant »Opus 39« gleich in der Nähe (39 Cordova Street, Telefon 904-824-0402). Und was Chefkoch Michael McMillan dort auf den Teller zaubert, ist wirklich begeisternd. Besonders angetan sind wir vom Heilbutt mit frittierten Kartoffelbällchen und Blumenkohl sowie von den saftigen Mini-Rippchen vom Bison mit einer Bourbon-BBQ-Sauce mariniert. Dazu einen Pinot Noir »Domaine Serene« aus Oregon – einfach köstlich!
Anschließend bummeln wir zum historischen Plaza de la Constitucion, wo während der Sommermonate jeden Donnerstag ein öffentliches Konzert stattfindet. Wir swingen im Takt einer flotten Combo mit dem schönen Namen »Mid-Life Crisis Band«, bei der von klimakterischer Depression freilich nichts zu spüren ist. Anschließend schlendern wir vorbei an der frisch renovierten Bridge of Lions wieder zurück zu unserem Inn, wo wir den Abend im Salon bei einem perlenden Glas Champagner ausklingen lassen. Und fühlen uns in der ältesten Stadt Amerikas plötzlich wieder ganz jung.
Mehr Informationen:
Inn on Charlotte Bed & Breakfast
52 Charlotte Street
St. Augustine
Telefon: (904) 829-3819
www.innoncharlotte.com
Preise/Hauptsaison:
von 159 bis 289 Dollar/je nach Zimmer und Wochentag.
Sorry – keine Kinder.