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Genau so angesagt wie die Strände von South Beach ist die Kunst-Szene von Miami.(Foto: © Keith Gentry)
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Auf der Art Basel werden die neusten Trends in Sachen Kunst präsentiert.(Foto: © Lipsky)
Seit Miami vor sieben Jahren beschloss, das Image einer Kulturwüste abzustreifen und Sam Keller, den Messe-Pionier aus der Schweiz, einlud, die prestigeträchtige Art Basel unter Palmen zu duplizieren, brechen nun regelmäßig im Dezember schlaflose Nächte an. Denn die Art Basel Miami Beach (ABMB) ist nicht »your daddy’s art fair«, wie man hier so schön sagt. Keine betuliche Verkaufsveranstaltung für impressionistisch angehauchte Ölschinken für den Platz über dem Kamin. Sondern vielmehr eine Melange aus Kunst und Glamour, ein fünftägiges Bacchanal am Sandstrand.
Im Mittelpunkt steht das Messezentrum des Miami Beach Convention Center, in dem rund 200 Top-Galeristen von Berlin bis Bogotá, von Soho bis Schanghai ausstellen. Schon der Besuch dort gleicht einem Marathonlauf, der gutes Schuhwerk und Ausdauer erfordert. Fingerhutgroße Portionen bittersüßen kubanischen Kaffees, zwischendurch eingeflößt, schaden nicht.
Bleibt der Schwindel selbst ob dieser massiven Kunstfülle aus, setzt Vertigo spätestens bei demjenigen ein, der es wagt, nach den Preisen zu fragen. Ein Jawlensky für vier Millionen Dollar, Ed Ruscha für 150.000 oder dekorative Neonwürfel von Jeppe Hein für schlappe 30.000 Euro. Der helle Wahnsinn.
Deshalb nichts wie ab ins hippste Containerdorf der Welt. Nur wenige Blocks vom Mutterschiff, dem Convention Center, entfernt liegen zwei Dutzend Metallcontainer am Sandstrand, aufgepeppt von Avantgarde-Architekten. Fast so, als hätte sie eine große Welle aus der fernen Welt an diese glorifizierte Sandbank mit Namen Miami Beach gespült, backen sie in der Sonne. Genannt die »Art Positions« präsentieren hier Galeristen die Newcomer der Kunstwelt.
Junge Künstler, die sich noch nicht etabliert und weltweit einen Namen gemacht haben, die rohe Kunst, schräge Kunst, »Oh-my-God«-Kunst zeigen. Hier wird bei 28 Grad im Schatten gefachsimpelt – und ein Kundengespräch auch schon mal mit einem Sonnenbad verbunden. Hey, wir sind ja schließlich in Florida!?Hier trippeln die Girls in ihren Stilettos durch den Sand und wünschen sich Badelatschen. Hier trifft der Geldadel im Leinensakko auf die Subkultur in Sommershorts. Kaum sind wir denn auch durch all diese Kunst-Container gestolpert und haben uns zwischendurch mit dem ersten Mojito über der Frage versöhnt, ob das denn auch wirklich alles Kunst sei, hören wir schon den nächsten kreativen Sirenengesang.
NADA (The New Art Dealers Alliance Inc.), Scope, Pulse, Aqua und all die anderen Satelliten- und Alternativmessen rufen. Es sind jedes Jahr mehr kreative Schmarotzer, die an die ABMB andocken und von dem dionysischen Rausch profitieren wollen, der hier den Winter zum Sommer macht und die Nacht zum Tage. Diese Nebenmessen finden in schnieken Boutique-Hotels in Miami Beach statt. Jedes Zimmer zu einer Mini-Galerie umgestaltet. Cutting-Edge im Zweibett-Zimmer, wenn man so will.
Video-Werke dröhnen in leer stehenden Lagerhallen auf der anderen Seite der Bay und verwandeln diese in die Epizentren der Gegenwartskunst. Einer Kunst, die mit der harschen Realität vor der Tür einen interessanten Kontrast bildet. Hier eine schrille Neon-Installation, die sich niemand im Wohnzimmer wünscht, dort an der Ecke Drogendeals und Prostitution, in Schach gehalten von der Polizei. Egal: Auch das ist Teil des Charmes dieser Pionierstadt, die vor kaum mehr als 100 Jahren aus den Sümpfen Floridas wuchs. Warteten in den Hotels am Ocean Drive noch bis Mitte der achtziger Jahre die Rentner und »Snow Birds«, menschliche Zugvögel aus dem kalten Norden, auf das Jenseits, gehört heute das Diesseits den VVVIP, den »very, very, very important people«.
Während diese am Abend zu exklusiven Events in schwarzen BMW-Limousinen davongleiten, mobilisieren wir die letzten Reserven mit einem kräftigen Schluck aus der Red-Bull-Pulle. Denn die ABMB-Nächte können mitunter länger als der Tag sein. Fragten wir gerade noch »Wie heißt der Künstler?« und »Was kostet das Ganze?«, so wälzen wir nun essenzielle Fragen wie »Wo gehen wir zuerst hin?« und »Wohin geht es anschließend?« Es ist Party-Time, my dear.
Denn in einer Stadt, die mit Art déco ebenso assoziiert wird wie mit Dekadenz und Drogen, mit Glitz und Glamour ebenso wie mit Gangs und der Russen-Mafia, in dieser Stadt legt sich niemand, aber auch niemand, nachdem er einen halben Tag Kunst dechiffriert hat, am Abend erschöpft ins Bett. Nein, jetzt geht die Kunstolympiade erst richtig los: Vernissagen reihen sich nonstop an Vernissagen, Cocktail-Partys an Cocktail-Partys. Gleichzeitig buhlen die Hotels mit extravaganten Bands um die Gäste, die erschöpft ob des visuellen Overkills nichts mehr wünschen, als mit einem Hawaii-Punch in der Hand im Pool zu paddeln.
Denn am nächsten Tag beginnt alles von vorne. Neben dem Kunst-Marathon steht nun der »social« Marathon an: Frühstück im Design- oder Wynwood Art District. Dies sind zwei forsch umgetaufte Viertel nahe Downtown Miami, in denen allmonatlich neue Galerien ihre Tore öffnen. Wer hier ein paar Blocks vom Trampelpfad der Kunstbeflissenen abkommt, sieht die Kehrseite der Glitterstadt. Heruntergekommene Lagerhäuser, zwischen denen die Nesseln sprießen und die Obdachlosen hausen. Ausgerechnet hier haben neureiche Sammlerfamilien wie die Margulies, die Rubells und Cisneros Fontanals Stellung bezogen.
Hier stellen kurzerhand ganz clevere Galeristen einen gemieteten Umzugslaster auf die Straße und rollen das Tor hoch. Hier geht alles, wenn es nur um viel Geld geht. Die Creme de la Creme der Sammler, Stars und Sternchen lässt sich natürlich nicht mit lauem Kaffee und noch laueren Croissants am Massenbüfett abspeisen. Sie gehen zum Brunch von Kunsthändler Larry Gagosian, wo sie ganz zufällig auf Hollywood-Star Michael Douglas und Gattin Catherine Zeta-Jones treffen. Oder zum Lunch in einer Acht-Millionen-Dollar-Villa, die ebenfalls ganz zufällig zum Verkauf ansteht. Allein schon all diese Termine auf die Reihe zu kriegen, erfordert einen »social butler« oder zumindestens einen BlackBerry.
Apropos Butler. Wer vor Monaten schon ein Zimmer im Ritz-Carlton in Miami Beach ergatterte, kommt auch in den Genuss eines »tanning butlers«. Gerüstet mit Sonnencreme und einem entwaffnenden Lächeln schleichen sich hier gut aussehende Jungs durch die Menge der Sonnenanbeter und offerieren Sonnenschutz und Fingerspitzengefühl. Ahhhh, life is good.
Doch allzu lange wollen wir nicht am Pool verträumen. Denn noch haben wir nicht Miami Art Central im Süden der Stadt oder das Bakehouse, eine ehemalige Großbäckerei, besucht, wo Nachwuchskünstler in ihren Studios basteln und Werke für unter 5000 Dollar zu finden sind. Die ABMB ist inzwischen ein Supermarkt für Mega-Sammler, und jeder will dabei sein bei der inzwischen größten Kunstmesse in Amerika, wo Keanu Reeves, Dennis Hopper und Calvin Klein ihre Weihnachtseinkäufe erledigen. Wo Barbara Becker und Nicky Hilton gesichtet werden, und die Glamour-People aus Europa mit »schrägem Haarschnitt und Platin-Kreditkarten«, wie sich die »New York Times« mokiert, Küsschen austeilen. 40.000 waren es im vergangenen Jahr.
Unter all diese Profis und Kunst-Aficionados mischen sich denn auch immer mehr Menschen, die von Kunst soviel verstehen wie von Neurochirurgie. Sie wollen nicht nur sehen und gesehen werden mit ihren getunten Lippen, ihren ziselierten Näschen, Silikonbusen und frisch getönten Model-Körpern, sie wollen heiße Partys am coolen Pool, sie wollen Kunstzirkus und Kanapees.
Dieser globale Jetset strömt denn inzwischen aus dem ganzen Land, aus Europa und Asien nach Miami. Hochkultivierte Menschen werden zu hungrigen Hyänen, die Zehntausende von Dollar für Künstler ausgeben, von denen noch niemand etwas gehört hat, aus Ländern, die auf der Kunst-Landkarte kaum verzeichnet sind.Der »American Way of Life« hat die Kunstwelt erobert. Der Besitz teurer und schöner Dinge wird demonstrativ zur Schau getragen. Ging es früher um Brillies, Jachten und teure Sportwagen, so grassiert heute in der High Society das Kunstfieber, und der prosperierende Großraum Miami ist die perfekte Bühne. Das Image der kriminellen Drogenmetropole ist im wahrsten Sinne des Wortes nur noch Schnee von gestern.
»Die Kombination von Kunst und Strand ist unwiderstehlich«, notierte ABMB-Schöpfer Sam Keller im vergangenen Jahr. Keller, ein sympathischer Glatzkopf, der zum Gesicht der Kunstmesse geworden ist, trug bei der Premiere vor fünf Jahren ein T-Shirt eines exklusiven Schweizer Modelabels. In kleinen Buchstaben stand darauf nur das Wort »Erfolg« geschrieben. Keller, der Ende des Jahres zur Foundation Beyeler in Basel wechselt, braucht solches längst nicht mehr zu proklamieren. Die Art Basel Miami Beach spricht für sich selbst.
Als Satelliten, die an die Hauptmesse andocken, haben
sich etabliert:
NADA (The New Art Dealers Alliance Inc.), The Ice Palace,
1400 North Miami Avenue, Miami
Aqua Art Miami, Aqua Hotel
1530 Collins Avenue, Miami Beach
Scope, 101 NW 34th Street
Wynwood Art District, Miami
Pulse, Soho Studio, 2136 NW 1st Avenue
Wynwood Art District, Miami
Daneben lohnt ein Abstecher zu den Privatsammlungen:
Rubell Family Collection,
95 NW 29th Street, Miami
The Margulies Collection at the Warehouse,
591 NW 27th Street, Miami
Cisneros Fontanals Art Foundation
1018 North Miami Avenue, Miami
Nicht zu vergessen in dem ganzen Trubel: die Museen und Künstler-Ateliers
MOCA, Museum of Modern Art
7700 NE 125th Street, North Miami
Bass Museum
2121 Park Avenue, Miami Beach
MAM, Miami Art Museum
101 West Flagler Street, Miami
Lowe Art Museum
1301 Stanford Drive, Coral Gables
MAC, Miami Art Central
5960 SW 57th Avenue, Miami
Art Center/South Florida
924 Lincoln Road, Miami Beach