»Oh, no Señora!« Peter Bello wedelt heftig mit den Händen. »Wir sind kein Geschäft, das auf Nostalgie macht. Wir sind eine Zigarrenfabrik«, sagt der stolze Besitzer von Cuba Tobacco und Zigarrenhersteller in fünfter Generation. Es sei Besuchern verziehen, sollten sie sich beim Betreten von Bellos Mini-Fabrik auf der Calle Ocho in Miami urplötzlich in vergangene Zeiten zurückversetzt fühlen.
Vergilbte Bilder einer kubanischen Tabakfabrik aus dem Jahr 1927 hängen an der Wand. Alte Männer in Guayaberas, den kubanischen Hemden, gehen ein und aus. Ein junger Zigarrendreher, vor gerade einem Jahr von der sozialistischen Insel geflüchtet, schneidet mit flinker Hand die selbst gedrehten »Puros«. Fehlt nur der Vorleser, der in kubanischen Fabriken noch heute das Heer der Arbeiter mit Zeitungsberichten unterhält. Sicher, dies ist nicht Havanna, sondern die Calle Ocho, »La Southwesera«, wie uns eine Exilkubanerin mit starkem Akzent in unverwechselbarem Spanglish informiert.
Doch wer bei den »Viernes Culturales«, den »Kulturellen Freitagen« am letzten Freitagabend des Monats, oder an irgendeinem anderen Tag auf der Southwest 8th Street ins Herz von Little Havana in Miami vorsticht, der findet zwischen der 13. und 17. Avenue Nostalgie butterdick. Nicht nur in den Rauchschwaden von Bellos Shop, wo der Besitzer selbst sein bester Kunde zu sein scheint und uns mit Anekdötchen aus seiner Jugend unterhält. Und, nicht zu vergessen, einen Brief von Arnold Schwarzenegger hervorzaubert, in dem der kalifornische Gouverneur seinem »lieben Freund Pedro« für die tollen »Stogies« (Zigarren) dankt. Aaarnold was here! Nein, die Calle Ocho ist weiterhin »Ground Zero« für Besucher, die kopfüber in eine Melange aus Kunst, Kitsch und Kommerz à la Cubana eintauchen wollen.
Dicht gedrängt auf weniger als einer Meile reihen sich hier die Galerien, Geschäfte, Restaurants, Cafeterias und die Musikläden kubanischer Weisen, deren Dasein Balsam auf die empfindliche kubanische Seele verspricht. Doch anders als in San Francisco oder New York, wo sich die Chinatowns und Viertel mit Namen »Little Italy« an eng definierte Grenzen halten, ist Little Havana längst schon über sich hinausgewachsen. Das ist auch kein Wunder, leben doch mehr als 800.000 Kubaner im Großraum Miami. Und sie haben entschieden in den vergangenen Jahrzehnten das Selbstverständnis, das Gesicht, die Politik und die Wirtschaft der Stadt geprägt.
Gerecht wird ihnen, ihrer Geschichte und ihrem Einfluss keine noch so lange Tour. Doch der Deutsche Uwe Döringer und sein Partner Charles Kropke von Dragonfly Expeditions mühen sich redlich. »Wir wollen Geschichten erzählen, nicht nur Sehenswürdigkeiten aufzählen«, wirbt Kropke und beginnt mit einer Tragödie in den Augen der meisten Exilanten: der Machtübernahme durch Fidel Castro nach der kubanischen Revolution 1959. Auch wenn schon vorher zahlreiche Kubaner in Miami lebten, ihre Zahl schwoll nach dem Sturz von Diktator Fulgencio Batista dramatisch an. Zuerst sind es seine Anhänger, die der Insel den Rücken kehren. Dann folgen ihnen die Bildungselite, die Mittelklasse und in den letzten Jahrzehnten die Arbeiterklasse – ohne Arbeit, ohne Hoffnung und auf der Suche nach einem besseren Leben.
Flüchtlingsbewegungen definieren die Geschichte der Exilgemeinde. Allein 1980 landen 125.000 Inselkubaner in Miami, und immer wieder ist die Metropole gefordert, neue Scharen von Menschen aufzunehmen, die oft mit nicht mehr als den Kleidern am Leib Zuflucht suchen. Zu den Exilanten gehören Bellos Eltern ebenso wie die Eltern von Jose Antonio Guevara, der heute die kulinarischen Träume vergangener Generationen in seinem »Palacio de los Jugos« wachhält.
Hier, an der Peripherie von Little Havana, findet sich der kubanische Himmel auf Miamis Erden, ein geschäftiger kubanischer Markt samt Restaurant mit viel versprechendem Namen. Zuerst ein Saft exotischer Früchte wie »Guanabana« (Stachelannone) oder »Guarapo« (Zuckerrohr). Dann ein Sandwich mit Schweinefleisch oder ein Teller mit »Cristianos y Moros«, wie die Kombination schwarzer Bohnen mit Reis heißt. Die Bedienung häufelt frittiertes Fleisch dazu. Nebenan haut ein Mann mit einer Machete Kerben in frische Kokosnüsse. Schwerer Kaffeeduft mischt sich mit süßem Aroma von Mangos und Ananas. Und wir vergessen für einen Moment, dass wir in Amerika sind, und seufzen »que rico!« angesichts dieser simplen Küche.
Die nächste Überraschung auf Döringers Expedition ist ein Kleiderladen. Natürlich kein einfacher Kleiderladen. No Señora! Sondern der Laden des »Königs der Guayaberas«, wie in typisch kubanischer »Bescheidenheit« ein Geschäft genannt wird, das kubanisch inspirierte Leinenhemden offeriert, die schon Papa Hemingway mit Gusto trug. Auch wenn inzwischen der Großteil in China oder Panama gefertigt wird, Besitzer Ramon Puig schneidert hier noch selbst. Und holt stolz die Scheren hervor, die seine Mutter vor langer Zeit aus Kuba schmuggelte. Nostalgie wurde auch hier in ein lukratives Geschäft umgemünzt. Vom Hang seiner Landsleute zur Nostalgie profitiert auch Ramon Unzueta – selbst im fernen Spanien. Der Maler, der 1992 die Insel verließ und seine Werke in der gleichnamigen Galerie auf der Calle Ocho ausstellt, hat eine Vorliebe für Porträts, Landschaften und Stillleben.
Doch mit einem Motiv, sagt seine Schwester Enaida Unzueta, habe er den meisten Erfolg: Coladores, Kaffeefilter. »Weiß der Himmel warum, aber dies ist ein Motiv, das die Leute lieben.«Es ist keine Überraschung. Ist überzuckerter Kaffee, schwarz oder »con leche« – mit Milch – doch für Kubaner der Treibstoff, der ihren Motor am Laufen hält. Überall in Miami finden sich denn auch die Cafeterias, in denen Männer und Frauen fast im Vorübergehen fingerhutgroße Becher des heißen Getränks schlürfen. Und deshalb ist es kaum verwunderlich, dass Touristenführer Felipe Perez am Ende unserer Erkundungstour in der »Exquisito«-Cafeteria zu einer kleinen Lektion über die richtige Terminologie ausholt – auf dass auch niemand einen »Cafecito« mit einem »Cortadito« oder gar mit einem »Café con leche« verwechselt.
Hier kann man Kuba-Flair live erleben:
Dragonfly Expeditions Inc.
1825 Ponce de Leon Blvd., #369
Coral Gables, FL 33134 Telefon (305) 774-9019
www.dragonflyexpeditions.com
Bietet neben der »Cuban Heritage Tour« auch eine nächtliche Tour (»Habana Nights«) mit Salsa-Stunde und dem Besuch des kubanischen Nachtlokals »Hoy como Ayer« an.
(Hinweis: Informieren Sie sich bei der Anfahrt zu den genannten Adressen vorher nach dem genauen Weg – einige Gegenden um die Calle Ocho sind für Touristen ungeeignet)
Hoy como Ayer
2212 SW 8th Street
Telefon (305) 541-2631
www.hoycomoayer.net
Geöffnet: Mi. bis So. ab 21 Uhr. Typisch kubanische Bar, wobei Livemusik, alten kubanischen Filmen und gehobener kubanischer Küche das Herz höher schlägt.
Casa Panza
1620 SW 8th Street
Telefon (305) 643-5343
www.casapanza.com
Geöffnet: 12.30 Uhr bis Mitternacht oder länger. Verbringen Sie einige Momente im Restaurant – und Sie schwören, in Madrid zu sein. Hier wird die beste »Crema Catalana« der Stadt serviert, ein leckerer Vanillepudding mit Karamellkruste. Flamenco-Shows am Wochenende.
La Carreta
3632 SW 8th Street Telefon
(305) 444-7501
www.lacarreta.com
Geöffnet: So. bis Do. von 8 bis 2 Uhr. Fr./ Sa. von 8 bis 5 Uhr morgens!Traditionelle kubanische Küche. Fast rund um die Uhr kann man hier entweder einen Kaffee trinken, mit viel Zucker versteht sich, oder typische Köstlichkeiten auf der Karte entdecken.
El Pub
1548 SW 8th Street Telefon
(305) 642-9942
Geöffnet: 9 Uhr bis Mitternacht.
Kleine authentische Bar, in der besonders das Frühstück ein Muss ist. Absolutes Highlight ist der frisch gepresste Orangensaft, bei dem man jeden Sonnenstrahl förmlich schmecken kann.
Versailles
3555 SW 8th Street
Telefon (305) 444-0240
Geöffnet: täglich von 8 bis 2 Uhr
In Miami und Umgebung genauso berühmt wie sein Namensgeber in Paris! Sehr familienfreundlich, aber auch bei Nachtschwärmern beliebt, die nach einer durchtanzten Nacht aus South Beach hierher kommen, um die Batterien wieder aufzufüllen mit einer der Köstlichkeiten von der riesigen Speisekarte.
Casa Juancho
2436 SW 8th Street
Telefon (305) 642-2452
www.casajuancho.com
Geöffnet: Mittag bis Mitternacht. Inbegriff exzellenter spanischer Küche in landestypischem Ambiente! Hier kann es einem durchaus passieren, dass am Nebentisch einflussreiche Persönlichkeiten aus Miamis Geschäftswelt sitzen.Unbedingt reservieren!
Los Pinareños Fruteria
1334 SW 8th Street
Telefon (305) 285-1135
Geöffnet: ab 11 Uhr. Hier geht es informell zu. In entspannter Atmosphäre an einem der kleinen Bistrotischchen das tägliche »Lunch Special« genießen. Unbedingt probieren: den Zuckerrohrsaft »Guarapo« – lecker!
Little Havana To Go
1442 SW 8th Street
Telefon (305) 857-9720
Geöffnet: ab 11 Uhr. In diesem Trödelladen kann man allerlei kubanische Mitbringsel ergattern. Besonders interessant ein Telefonbuch aus dem Jahr 1958, in dem viele von Miamis kubanischen Exilfamilien aufgelistet sind. Witzig: Spielkarten, auf denen provokativ im Gesicht von »El Comandante«, Fidel Castro, ein großes »X« prangt.
La Tradicion Cubana
1894 SW 8th Street
Telefon (305) 643-4005
www.tradicion.com
Geöffnet: für eine Tour anrufen. La Tradicion Cubana hat mit einer kleinen Fabrik mitten im Herzen von Little Havana begonnen. Hier kann man die Kunst der Zigarrenherstellung bestaunen und die »Kunstwerke«auch kaufen.