In Miami entstehen nicht nur Hochhäuser, sondern auch immer mehr Technik-Startups. (Foto: © Sean Pavone/Shutterstock.com)
Zu den automatischen Assoziationen, die sich mit Miami und Südflorida im Allgemeinen verbinden, zählen vor allem sonnige Strände, Art-déco-Architektur und Tourismus. Die Tatsache, dass die Magic City zu den 20 Städten zählt, die in die im Januar bekanntgegebene Endauswahl für den Standort des geplanten neuen Amazon-Hauptquartiers HQ2 aufgenommen wurden, dürfte dagegen manche Leute überrascht haben. Wie Curbed berichtet, entwickelt sich die Stadt aber schon seit einiger Zeit zu einem Anziehungspunkt für Technikunternehmen.
Laut Philippe Houdard, Mitgründer von Pipeline, einem Shared-Workspace-Netzwerk in Miami und anderen US-Städten, befindet sich Miami "mitten in einem Transformationsprozess". In der Vergangenheit sei die hiesige Ökonomie nicht sehr vielfältig gewesen, aber dies ändere sich gerade, und der Techniksektor spiele dabei eine Schlüsselrolle. Im vergangenen Jahr lag das von Start-ups in der Region eingeworbene Risikokapital bei 1,3 Milliarden Dollar. Damit belegte Miami im Hinblick auf Beteiligungskapital unter allen US-Städten den 8. Platz. Im Vergleich zu San Francisco, der Metropole des Silicon Valley, wo die entsprechende Summe fast 20 Mal so hoch war, wird Miami zwar auf absehbare Zeit im Hinblick auf die Technikindustrie ein Zwerg bleiben. Nach Ansicht von Houdard und anderen hat die Magic City aber ihre ganz eigenen Stärken, die es ihr ermöglichen werden, sich in diesem Sektor auf eigene Weise zu entwickeln.
Für Trabian Shorters vom Community-Builder-Netzwerk BMe und Ana Gonzalez, Chefin des sogenannten Startkapitalbeschleunigers 500 Startups, eines im Silicon Valley beheimateten Unternehmens, das bereits 400 Millionen Dollar in Startups investiert hat, stellen vor allem auch die Vielfalt und das tolerante Klima einen Trumpf für die Stadt dar: Im Vergleich zum Silicon Valley, wo seit den 80er-Jahren vor allem weiße, männliche Techniknerds den Ton angäben, gebe es hier erkennbar mehr Frauen sowie Schwarze und Latinos in Technikberufen, ein kreatives Potenzial, das es zu fördern gelte. Gemäß Untersuchungen der FIU-Miami Creative City Initiative ist das Engagement der Stadt für die Talentförderung in der Tat ausbaufähig: Gegenwärtig werden in der Metropolregion Miami rund 565 Millionen Dollar im Jahr in universitäre Forschung und Entwicklung investiert. Damit liegt Miami unter allen US-Städten auf dem 24. Platz, bezogen auf die Bevölkerungszahl sogar nur auf dem 43. Platz. Nach Aussage der schwarzen Unternehmerin Felicia Hatcher wird allerdings auch in der Technikszene von Miami trotz der vorhandenen Vielfalt der Inklusion von Frauen oder ethnischen Minderheiten noch immer keine Priorität eingeräumt.
Obwohl sich Miami selbst nach Aussage des Urbanistik-Professors Richard Florida nach wie vor vorrangig als Tourismus- und Immobilienindustriestandort und nicht als "globale Stadt" begreift, bietet die Metropolregion tatsächlich zahlreiche Möglichkeiten für Start-ups. Dabei kann Miami als Technikstandort bereits auf eine lange Tradition zurückblicken: Jahrzehntelang unterhielten Konzerne wie IBM und Motorola hier große Forschungscampus in Kooperation mit lokalen Bildungseinrichtungen wie der Florida Atlantic University. Erst in jüngerer Zeit wurden Miami und Südflorida aber von einer neuen Generation von Technikfirmen als Standort entdeckt.
Im vergangenen Jahr führte der sogenannte Kauffman Index of Entrepreneurship, der die Zahl der Geschäftsneugründungen in einer Region angibt, die Stadt auf dem 1. Platz. Laut Daten des Maimi-Dade Beacon Council, einer Agentur für Wirtschaftsentwicklung, wuchs die Zahl der Beschäftigten im Techniksektor zwischen 2012 und 2016 um 27,6 Prozent. In Vierteln wie Wynwood, Coconut Grove oder Brickell haben sich Technikunternehmen angesiedelt, und einige in Miami gegründete Start-ups wie der Newsletter-Anbieter WhereBy.Us haben bereits US-weit Aufmerksamkeit erregt. Unweit von Miami in Plantation befindet sich auch der Sitz des derzeit sehr gehypten Augmented-Reality-Start-ups Magic Leap. Parallel dazu entstanden Organisationen und Firmen, die Start-ups bei ihrem Aufbau beraten und unterstützen, wie Refresh Miami und der Coworking-Space-Anbieter The LAB.
Was die Technikfirmen und Start-up-Unternehmen nach Miami zieht, sind neben dem hiesigen Investitionspotenzial und Innovationsnetzwerken nach den Worten von Ana Gonzalez auch die gegenüber Städten wie San Francisco, Boston oder New York deutlich niedrigeren Lebenshaltungskosten. Dazu komme die Tatsache, dass die hier sehr wichtigen Wirtschaftsbereiche Transport, Gastwirtschaft und Logistik gerade für die technische Industrie viel Wachstumspotenzial offerierten. Ein anderer Aspekt sei die Nähe zu Lateinamerika, aus dem immer mehr Kapital in technische Unternehmen fließe.
Ein Punkt, in dem Miami aber noch Nachholbedarf gegenüber anderen Städten hat, ist das Unternehmenswachstum. In einem anderen Kauffman-Ranking aus dem letzten Jahr lag die Stadt im Hinblick auf diesen Aspekt unter 40 US-Metropolregionen nur auf dem 36. Platz. Ein Grund dafür ist der hiesige Mangel an großen Firmen im Techniksektor: In einem Umfeld, in dem es fast nur kleine Start-up-Unternehmen gibt, tun sich diese naturgemäß schwerer damit, sich zu mittelgroßen Unternehmen zu entwickeln.
City-Council-Mitglied Ken Russell, dessen Verwaltungsbezirk unter anderem die Viertel Brickell, Coconut Grove und Wynwood umfasst, glaubt, dass Fußläufigkeit, Grünflächen, Kultur sowie Verfügbarkeit und Anbindung öffentlicher Transportsysteme ebenso wichtig für die Ansiedlung von Start-ups sind wie die finanzielle Förderung. Zudem müsse es im Stadtzentrum auch künftig genügend bezahlbaren Wohnraum geben, damit die Mitarbeiter der Unternehmen nicht zum stundenlangen Pendeln gezwungen seien.
Mit dem in Little Haiti geplanten Magic City Innovation District soll in Miami ab 2020 für eine Milliarde Dollar auf rund 69.000 Quadratmetern ein Gebäudekomplex mit etwa 2.500 Mieteinheiten für Produzenten und Dienstleister aus den Bereichen Technik, Nachhaltigkeit, Gesundheit, Wellness, Kunst und Unterhaltung entstehen. Ob dieses Projekt aber dazu beiträgt, der Technikindustrie den nötigen Schub zu verleihen, oder in erster Linie zu einem Anstieg der Mieten und damit zur Verdrängung der alteingesessenen Bevölkerung führt, wird die Zukunft zeigen.