
Molasses Reef, Florida Reef, Florida Keys
Bedrohtes Ökosystem von enormer Bedeutung: ein Schwarm Weißer Grunzer am Molasses Reef vor den Florida Keys (Foto © Joe Quinn/Shutterstock.com)
Laut dem Miami Herald wurden erstmals 2014 vor der Küste Miamis Korallenbänke identifiziert, die von der sogenannten "Stony Coral Tissue Loss Disease" (SCTLD, "Steinkorallengewebeverlustkrankheit") befallen waren. Seitdem breitete sich die Krankheit im Florida Reef, dem drittgrößten Riffsystem der Welt, das sich über eine Länge von 270 Kilometern erstreckt, wie ein Lauffeuer aus und entwickelte sich nach den Worten einiger Wissenschaftler zur "schlimmsten marinen Epidemie", die sie je erlebt hätten.
Nach Aussage des auf die Ökologie von Korallenriffen spezialisierten Biologieprofessors Les Kaufman von der Boston University war das Gebiet, das von einer Stelle nahe Port St. Lucie entlang der Südostküste Floridas über die Florida Keys bis zum Dry-Tortugas-Nationalpark verläuft, in den 1970er-Jahren noch zu 50 bis 70 Prozent von Korallen bedeckt. 2013 waren es noch 10 Prozent, mittlerweile sind es nur noch 2 Prozent. Laut Beth Firchau, Koordinatorin des Florida Reef Tract Rescue Project der Association of Zoos and Aquariums (AZA), waren in der Vergangenheit lediglich 2 bis 3 Prozent der Korallen im Riffsystem von Krankheiten befallen. Infolge der Ausbreitung von SCTLD sind es nun mehr als 60 Prozent. Einige Steinkorallenarten wie die Säulenkoralle (Dendrogyra cylindricus) sind im Florida Reef bereits lokal ausgestorben. Neben der tödlichen Krankheit, von der man bis heute nicht einmal weiß, ob sie durch ein Bakterium oder ein Virus hervorgerufen wird, gibt es noch andere Ursachen für das Absterben der Korallen. Dazu gehören der Klimawandel, der zu einer Erwärmung und einer Abnahme des Salzgehalts des Meerwassers führt, sowie die Umweltverschmutzung und -zerstörung durch die Einleitung landwirtschaftlicher und häuslicher Abwässer, das Ausbaggern des Meeresgrundes und die Veränderung der Küsten durch den Menschen.
Angesichts dieser dramatischen Entwicklung beschlossen zahlreiche Universitätsinstitute und andere Einrichtungen im ganzen Land, gemeinsam gewissermaßen als "Arche Noah" für Korallen zu fungieren: Fast 2000 Korallen wurden Floridas Riffsystem entnommen und in Aquarien in 14 verschiedenen Bundesstaaten untergebracht. Dort sollen sie gezüchtet werden, um mit ihren Nachkommen die Riffe neu zu besiedeln, wenn die Krankheit dereinst besiegt ist. Korallen in Gefangenschaft zur Fortpflanzung zu bringen, ist allerdings mitunter eine wissenschaftliche Herausforderung für sich: Erst 2019 gelang es Forschern des Florida Aquarium in Tampa erstmals, Säulenkorallen im Labor zu züchten. Doch es geht dabei nicht nur um die reine Nachzucht: Angesichts der Vielzahl von Stressfaktoren, denen die Korallenriffe heute ausgesetzt sind, besteht ein Ansatz zu ihrer Rettung auch darin, Tiere aus verschiedenen Populationen miteinander zu kreuzen, um Nachkommen zu erzeugen, die etwa auf höhere Wassertemperaturen weniger empfindlich reagieren oder für Krankheiten wie SCTLD weniger anfällig sind.
Ein anderer Ansatz besteht in der Stärkung der koralleneigenen Mikroflora durch Probiotika: Wie auch im menschlichen Darm leben in den Korallen Hunderttausende, wenn nicht Millionen von Bakterien, und nach Auffassung der Wissenschaftler spricht einiges dafür, dass diese eine Schlüsselrolle im Hinblick auf die Widerstandskraft ihrer Wirte gegenüber Krankheitserregern spielen. Daher planen sie, ein Probiotikum mit in den Korallen natürlicherweise vorkommenden Mikroben zu entwickeln, das ihnen genügend Abwehrkräfte gibt, um des SCTLD-Erregers Herr zu werden. Auch wenn die Wissenschafter von einem umfassenden Verständnis der Funktionsweise des Immunsystems der Korallen und seiner Wechselwirkung mit den Bakterien noch weit entfernt sind, geben die Ergebnisse erster Laborversuche dazu zumindest Anlass zu Optimismus. Theoretisch ließe sich SCTLD auch mit Antibiotika wirksam bekämpfen, über kurz oder lang würde dies aber zur Entstehung resistenter Erregerstämme führen, sodass die tückische Krankheit sich dadurch letztlich nicht besiegen ließe, dafür aber andere negative Folgen zu erwarten wären.
Durch SCTLD und andere Stressfaktoren geschwächte Korallen reagieren auch besonders empfindlich auf die Attacken von Fressfeinden. Einige Forschergruppen befassen sich daher mit der Frage, ob und wie man diese Fressfeinde in Zaum halten kann, indem man andere Prädatoren gezielt auf sie ansetzt. So gibt es etwa bestimmte Schneckenarten, die sich von Korallenpolypen ernähren. Während die durch diese Schnecken verursachten Verletzungen für eine gesunde Koralle kein großes Problem darstellen, können sie für eine krankheitsbedingt geschwächte Koralle tödliche Folgen haben. Um dies zu verhindern, soll die in Südflorida heimische Fleckenlanguste ihrerseits die Schnecken vertilgen, ehe sie den Korallen zu nahe kommen. Ob dies wirklich funktioniert, wird an der Florida International University in Zusammenarbeit mit dem Florida Fish and Wildlife Research Institute der Florida Fish and Wildlife Conservation Commission (FWC) erforscht. Hierzu untersucht unter anderem ein Doktorand den Mageninhalt von Langusten, um herauszufinden, ob die Schnecken überhaupt eine bevorzugte Mahlzeit der Krebse darstellen.
Auf jeden Fall wird die Wiederbesiedlung der abgestorbenen Riffe beziehungsweise Riffbereiche – so es denn gelingt, die Krankheit in den Griff zu bekommen, und andere Umweltfaktoren nicht ihrerseits ein erneutes Korallensterben verursachen – ein sehr langfristiges Unterfangen: Wie Andrew Stamper, Leiter des Bereichs Umweltschutzwissenschaft bei Disney’s Animals, Science and Environment, hervorhebt, brauchten die Korallenriffe, die insgesamt weniger al 1 Prozent des Ozeangrunds bedecken, aber für ein Viertel der marinen Tiere und Pflanzen als Lebensraum, Jagdrevier oder Futterplatz dienen, Tausende von Jahren, um ihre heutige Ausdehnung zu erreichen. Nicht nur in Florida besteht daher der beste Ansatz zum Schutz der Riffe darin, vor allem alles dafür zu tun, die Faktoren, die das Korallensterben verursachen, wirksam zu unterbinden.